Schumann-Journal 6/2017

Vgl. S. 256 ff. in Schumann-Journal 6/2017:

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Neue Schumanniana / New Schumanniana

CDs, DVDs*

Ausgewählt/selected von/by
Irmgard Knechtges-Obrecht & Ingrid Bodsch

(English translations by Florian Obrecht (F. O.) or Thomas Henninger (Th. H.))

 

Auszug aus dem PDF:

Gregor Witt - my oboe

Mozart . Graun . CPE Bach . Schumann
Gregor Witt, Oboe
Daniel Barenboim, Klavier
Streichtrio Berlin
Mitglieder der Kammerakademie Potsdam
Castigo 2480, LC 01795
2015

„Einfach, innig“ steht über der zweiten aus den Drei Romanzen op. 94 für Oboe und Klavier von Robert Schumann. Klingt ganz einfach, ist es aber keineswegs. Denn damit dieses Stück auch wirklich einfach und innig klingt, braucht es eine Menge Kraftanstrengung. Schumann hat nämlich bei der Komposition – sagen wir es mal freundlich - nicht so ganz bedacht, dass der Solist ja irgendwann auch einmal Luft holen muss. Zum Glück gibt es da einen Trick: die Zirkularatmung, bei der die Luftsäule nicht durch das Atemholen unterbrochen wird, sondern stehen bleibt und dem Solisten so nie die Luft ausgeht. Auf diese Weise meistert Gregor Witt auch die Drei Romanzen auf seiner neuen CD.
Der Solooboist der Berliner Staatskapelle fasst die drei Stücke als Lieder ohne Worte auf. Er singt die Melodien aber nicht nur, sondern er versucht sie vor seinem geistigen Ohr mit einem imaginären Text zu versehen. Den verrät er dem Hörer freilich nicht; man spürt aber beim Hören, dass uns der Oboist etwas zu sagen hat. Besonders deutlich wird das in der dritten Romanze, wo Schumann zunächst mit einer an ein Rezitativ erinnernden Figur beginnt, damit den musikalischen Spannungsbogen anzieht und erst nach mehreren Anläufen in die eigentliche Romanzen-Melodie startet. Es beeindruckt nicht nur wie feinfühlig Gregor Witt der Rhetorik von Schumanns Musik nachspürt, sondern auch wie passgenau Daniel Barenboim am Klavier die Begleitung dazu „dichtet“.
Neben seiner Tätigkeit für die Berliner Staatskapelle und das ihr angeschlossene Holzbläserquintett hat Oboist Gregor Witt eine Professur an der Rostocker Musikhochschule inne und ist natürlich in der Berliner Musikszene bestens vernetzt. Für seine Debüt-CD hat er deshalb neben seinem Chef Daniel Barenboim auch das Streichtrio Berlin und Mitglieder der Kammerakademie Potsdam gewinnen können. Mit diesen hat er auch zwei Berliner Originale eingespielt: das Oboenkonzert c-moll des langjährigen Hof-Konzertmeisters und -Kammermusikers Johann Gottlieb Graun und das Es-dur-Konzert von dessen Kollegen am Cembalo Carl Philipp Emanuel Bach.
Nun liegen zwischen Schumanns Romanzen und den beiden frühklassischen, empfindsamen und Sturm-und-Drang-behafteten Konzerten Grauns und Bachs stilistisch Welten. Deshalb hat sich Gregor Witt dazu entschlossen, den Ton seines Instruments durch die Wahl anderer Rohrblätter, anderer Instrumente oder anderer Blastechnik - ganz genau gibt das Booklet es nicht her - zu verändern. Spielte er bei Schumann noch mit einem dunkel gefärbten, vollen und romantischen Timbre, so klingt er bei seiner Aufnahme des Bach-Konzerts etwas heller und leichter.
Carl Philipp Emanuel Bach gilt als Erfinder des musikalischen Sturm-und-Drang, einer in der französischen Aufklärung verwurzelten Sichtweise, bei der das Individuum mit seinen Gefühlen im Mittelpunkt steht. Dem entsprechend könnte man die Musik des zweitältesten Bachsohnes durchaus als launig bezeichnen. Immer wieder zelebriert der Komponist scharfe Kontraste, lässt seine Melodien kreisen, sorgt auch auf dem Gebiet der Dynamik für ständige Abwechslung. Für dieses Stürmen und Drängen sind vor allem die Musiker der Kammerakademie Potsdam verantwortlich. Oboist Gregor Witt hält sich dagegen eher zurück. Er setzt der manchmal schroffen Musik einen hellen, strahlenden und sehr gesanglichen Ton entgegen. Das schafft natürlich einen neuen Kontrast auf einer anderen Ebene, führt aber dann auch zur Frage, ob nicht eine stärkere Mischung aus Kontrast und Harmonie die Sache nicht etwas spannender gemacht hätte. Auch bei den Tempi bleibt Gregor Witt maßvoll und geht beispielsweise das abschließende „Allegro ma non troppo“ des Bach-Konzerts recht gemütlich an.
Etwas gelungener ist das Verhältnis zwischen Solist und Orchester im c-moll-Oboenkonzert von Johann Gottlieb Graun. Der düsteren Tonart entsprechend wählt Witt hier ein leicht abgedunkeltes Timbre für sein Instrument. Hier entwickeln sich vor allem im ersten Satz zahlreiche schöne Dialoge zwischen Solist und Orchester. Auch die Musik Grauns lebt von Kontrasten, allerdings sind sie weit weniger stark ausgeprägt als bei Carl Philipp Emanuel Bach. Der Komponist wechselt nämlich regelmäßig von kantablen Melodien zu schnellen, meist legato artikulierten Läufen und Arpeggien. Die klingen bei Witt allesamt sehr agogisch geformt und rund, scheinen allerdings für den Oboisten nicht mehr als kleine Schmankerl darzustellen. Er fasst diese Musik nämlich nicht als reine Virtuosenstücke, sondern als eher von der zeitgenössischen Oper inspirierte Werke auf. Ganz deutlich wird das im sehnsuchtsvoll klagenden, wunderschönen langsamen Satz des Graun-Konzerts.
Eröffnet wird Gregor Witts Debut-CD allerdings mit einem kammermusikalischen Klassiker der Oboen-Literatur: dem Oboenquartett C-dur KV 370 von Wolfgang Amadeus Mozart. Das Werk ist ganz auf das Blasinstrument zugeschnitten, das begleitende Streichtrio hat dagegen nur relativ wenig zu melden. Dem entsprechend halten sich die drei Musiker des Streichtrios Berlin auch dezent im Hintergrund. Oboist Gregor Witt betont vor allem die rokokohaft-verspielten Elemente von Mozarts Quartett. Angenehm leicht klingt sein Oboenton, mit einer großen Portion Humor stürzt er sich auf die vielen kleinen Ornamente und Läufe in der Musik. Abgesehen von ein paar wenigen Stellen spielt er dabei minutiös präzise, während die „Hintergrund-Streicher“ schon mal hier und da nicht genau auf den Punkt zusammen spielen. Das ist ein bisschen schade, denn so fehlt diesem eingängigen und mit manchen oboistischen Raffinessen gespickten Werk dann doch der letzte Schliff.
Unter dem Strich aber ist Gregor Witts Debüt-CD eine sehr hörenswerte Scheibe geworden mit einem kleinen Akzent auf der Berliner Musikszene zur Zeit Friedrichs des Großen. Sein von der musikalischen Rhetorik inspirierter Interpretationsansatz überzeugt sowohl bei den „Alten Meistern“ als auch bei Mozart, vor allem aber bei den Drei Romanzen von Robert Schumann.
(Jan Ritterstaedt)


Gregor Witt is a solo oboist with Berliner Staatskapelle [Berlin State Opera Orchestra] and presents his first solo album with this CD. With Mozart’s Oboe Quartet KV 370 and Schumann’s Three Romances, Op.94, he chose for his programme two chamber music classics which he supplemented with two concertos by composers working in Berlin, Johann Gottlieb Graun and Carl Philipp Emanuel Bach. Witt plays with a versatile tone and always adjusts the timbre of his instrument to the expression and the period the music comes from. He chooses an interpretive approach which brings to the fore, above all, the rhetorical aspects of the music. But he also masters with bravura the virtuoso passages of the two early classical concertos. It is only in the interplay with the members of the Potsdam Chamber Academy that he could have taken up a bit more of the temperament exhibited by them. His way of playing the Three Romances by Schumann, where he is accompanied by his boss Daniel Barenboim on the piano, is particularly profound and harmonious. In conclusion, this is a successful debut of the Berlin oboist Gregor Witt on the recording market. (Summary by J. R., translated by Th. H.)